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Texte

Rede zur Ausstellungseröffnung  in der   
Landesvertretung Rheinland-Pfalz, 19.04.2023 
von Christoph Tannert,
Künstlerhaus Bethanien 

 

Von dem 1972 in Schwerin geborenen Bildhauer Nando Kallweit sehen wir Bronzeplastiken aus den Jahren 2019 und 2020, vorwiegend weibliche Figuren: Stehende, auf den Zehenspitzen Balancierende, Hockende, Sitzende.

Zumeist existieren sie als Teile von Editionen mit mal 7, mal 13, mal 25 Stück.

Kallweit arbeitet sowohl klein- als auch großfigurig.

Auffällig in der Anlage der Figuren, allesamt grob in der Oberflächen-beschaffenheit, sind ihre verlängten Gliedmaßen, ihre schmale Statur, eine anmutige, grazile, filigrane Erscheinung, die fast gotisch in die Höhe strebt und in ihrer Stelenhaftigkeit und Strenge sowohl etwas Antikes als auch etwas Nordisches haben. Ihre starke physische Präsenz im Raum lässt den Betrachter ihre Körperlichkeit bewusst wahrnehmen. Sie wollen keine Zwecke aufrufen, sie sind einfach nur da und warten auf Begegnung und Bedeutung. Sie markieren Raum durch nichts anderes als ihre Autonomie.

Schreiten Sie also den vom Künstler konzipierten Parcour ab. Den Abschluss der Sichtachse bildet seine sitzende „Dorothea“.

 

In jungen Jahren war Nando Kallweit begeistert von der berühmten Büste der ägyptischen Königin Nofretete aus Kalkstein und Gips, die er aus Abbildungen kannte. 1997, mit 25 Jahren, reiste er zum ersten Mal selbst nach Ägypten. Aber erst nach 2009 konnte der Künstler das Original sehen, das seit dieser Zeit im Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel zu bewundern ist.

Die Kopfformen von Kallweits Figuren nehmen allesamt das Echo dieser faszinierenden Büste mit der gerade abgeschnittenen blauen Perücke auf.

Kallweits Figurauffassung ist gleichwohl nicht nur altägyptisch inspiriert. Sie vereint in sich auch Merkmale der Skulptur des 20. Jahrhunderts, insbesondere des Kubismus, und ist heute den Skulpturen der Berliner Künstler Trak Wendisch oder Helge Leiberg nicht unähnlich.

Für die Herstellung seiner Bronzen nutzt Kallweit das Wachsausschmelz-verfahren - ein seit Jahrtausenden weltweit bekanntes Verfahren, in dem die gewünschte Figur zuerst aus Wachs modelliert wird. 

Andere Figuren sind aus geflammter Eiche – hier das lebensgroße Paar „Wächter und Wächterin“ sowie die Figurengruppe „Amici“.

 

Die Andeutung des Figürlichen könnte als Rückbesinnung auf die anthropologische Konstante und ein heiles Menschenbild interpretiert werden.

Ob sich Kallweit aber komplett entschieden hat für eine figürliche Darstellung oder ob wir es nicht eher mit einer abstrakten Figuration zu tan haben, die das Figürliche lediglich evoziert, kann nicht mit Bestimmtheit festgestellt werden.

Kallweit lässt sich nicht festlegen.

Seiner Art der Abstraktion fehlt freilich alles Kalkül. Sie ist eine Beschränkung auf das Wesentliche, immer dialogisierend mit der natürlichen Erscheinung.

Manchmal scheint das Figürliche nur ein Vorwand zu sein, um die Grenze hin zur Abstraktion zu überschreiten. 

Kallweit hält Abstand zur oberflächlichen Geschwätzigkeit, aber auch von allegorischen Implikationen, ob wohl seine Titel zuweilen so tun als ob. 

Seine Figuren entziehen sich allerdings auch, denn ihre Deutung kann nur versprachlicht werden, wenn man die Gleichzeitigkeit von Material, Form, Raum, Duktus und Thema berücksichtigt.

Und hier offenbart sich großes Schweigen.

Stille umfängt diese Figuren.

Sie ruhen in sich. Ohne unter einem Leidensdruck zu stehen. 

Zuweilen balancieren sie ihre Existenz aus, ihre Fragilität, ihre Auszehrung, ihr Gefährdet-Sein.

Diese Figuren hüten ein Geheimnis. Sie sind der Inbegriff eines Dazwischen – zwischen Körperlichkeit und Entkörperlichung.

Kallweit bringt uns dieses Geheimnis nahe, er lässt uns ihr Wesen erahnen, aber er setzt es nicht frei. Und er behelligt uns nicht mit Interpretationen.

Er führt uns an die Tore des Mystischen, aber er öffnet diese Tore nicht.

Selbst sein „Icarus“ breitet seine Flügel aus, ohne dass wir irgendeine Andeutung oder Erfolgserwartung mitdenken müssten.

So erzeugt er Spannung und seine Figuren halten sie.

In stiller Vornehmheit warten sie, eingelassen bzw. angenommen zu werden. 

Das ist eine wirkliche Gratwanderung.

Christoph Tannert, Künstlerhaus Bethanien 

Text von Dr. phil. Reimar Börnicke
zur Ausstellung in der Galerie Flox Dresden im August 2018

Faszination pur

Unverhofftes Staunen vor den Skulpturen von Nando Kallweit. Erstmals stehe ich ihnen in der Dresdner Galerie Flox gegenüber. Wahrscheinlich hätte ich manchen von ihnen schon in München, New York oder Stockholm begegnen können. Nun also Dresden, für mich ein Erlebnis der besonderen Art. Aufragend große Gestalten und Miniaturen in Holz und Bronze. Geschwärzt die Hölzernen, die anderen matt metallisch glänzend, eine Figurenwelt, einzeln oder zu kommunizierenden Gruppen geordnet, aus der Werkstatt eines begnadeten Bildhauers, Handwerkers, Künstlers. Pure Faszination. Sein bevorzugtes Werkzeug die Kettensäge, ein Instrument, nicht gerade einladend für detailverliebte Ziselierungen. Aber geeignet, dass der Künstler handwerklich konsequent sein bildkünstlerisches Programm einer kargen Formensprache im Großen wie im Kleinen überzeugend umsetzen kann.
Das Ergebnis: Ein verblüffendes Gestaltschema voller Ausdruckskraft und Überraschungen. Die Oberflächen ein haptisches Vergnügen. Der geübte Betrachter kann sich vor den schlanken Skulpturen sogleich an ägyptische Pharaonenbildnisse erinnern oder sich in der Bildgeschichte archaischer Artefakte verlieren. Längst hat auch die Kunstgeschichte jegliche lokale Abgeschlossenheit überwunden und die geistigen und künstlerischen Hervorbringungen der verschiedenen Nationen und Ethnien zum globalen Allgemeingut gemacht. Damit waren die Türen in die Vergangenheit für die Kunst von heute weit aufgestoßen und die europazentristischen ästhetischen Muster haben ihre alleinige Gültigkeit verloren. Schon Goethe stand einem normierenden Schönheitsideal kritisch gegenüber, wenn er sagt: „Die Kunst ist lange bildend eh sie schön ist…“ 
Gewollt oder intuitiv bedienen sowohl die skurrilen, aufstrebenden Großfiguren in ihrer Stelenhaftigkeit als auch die filigranen Statuetten Kallweits eine expressive Bildsprache, die die sensibel beobachtete Wirklichkeit nicht leugnet, deren Formenvokabular jedoch einer abstrahierenden künstlerischen Verdichtung zu danken ist. So finden sich statuarische Strenge und fast gotische Schwünge in einer spannungsvollen Einheit. Und auch wenn antike und nordische Sagengestalten vom Künstler namentlich bewusst apostrophiert werden und er auf den Schultern unserer Altvorderen steht, ist seine geistige Rückbesinnung nicht mit einem Rückgriff auf historisch überlieferte künstlerische Stile zu verwechseln.

Sein Figurenarsenal ist ein unverwechselbarer Neubeginn voller Individualität, eine Dialektik des Aufhebens.
Wenn wir uns auf Platon und Sokrates zurückbesinnen wollen, so sind wir mit ihnen eins, dass es nicht die Aufgabe der Kunst sein kann, die Natur nur nachzuahmen, zu verdoppeln, sondern dass sie durch Auslassung, Verknappung, Verwandlung zum Wesen vordringen solle. Die eigenwillig entmaterialisierten Figuren entwickeln genau aus dieser Eigenart ihre intristische Wirkmächtigkeit. Sie agieren gewissermaßen aus sich heraus, als hätte ihnen jemand diese imaginäre Kraft eines Eigenlebens eingegeben. Immer ist der menschliche Körper das Medium, mit dem Nando Kallweit seine Formvorstellungen in einem unverwechselbaren bildhaften Kanon verwirklicht. Nicht Einfühlung, sondern die Distanziertheit ist charakteristisch für die Bildkunst seiner bizarren menschlichen Figuren und macht sie so faszinierend. Die hier in Betracht genommenen Skulpturen beanspruchen keine raumgreifenden Bewegungsextreme, um ihre Wirkung zu entfalten. Charakteristisch sind ihre geschlossenen Fließbewegungen, eine Eigenschaft, die die Verwandlung des hölzernen Unikats in Bronze geradezu herauszufordern scheint.
Den hölzernen Skulpturen ist ihre Entstehungsgeschichte eingeschrieben, weil das säulenhafte Volumen des Holzstammes, aus dem die Figur geschaffen wurde, nicht nur ihre materiell- körperlichen Grenzen vorgibt, sondern zugleich das Initial für das geistige Programm des Bildhauers provoziert.
Das bildhauerische Menschenbild Nando Kallweits verkörpert auf geradezu exemplarische Weise die Einheit von Geschichtsbewusstsein und moderner Kunstauffassung. Der Künstler stellt sich dem gültigen Anspruch, eine souveräne Bildsprache gefunden und verwirklicht zu haben, die nicht oberflächliche Ähnlichkeit sondern Abstraktion des Wirklichkeitseindrucks anstrebt. Dem Schreiber dieser Zeilen ist das eine Erinnerung an den kunstsinnigen Universalphilosophen Nicolaus Cusanus wert, der schon im 15. Jahrhundert die Auffassung vertrat, dass ein Bild, das eine restlos aufgehende Ähnlichkeit mit dem Dargestellten erreicht, tot sei und die Lebendigkeit der Kunst darin bestehe, eine Differenz gegenüber dem Dargestellten zu offenbaren. Die Skulpturen Nando Kallweits erfüllen überzeugend dieses Credo.


Holz und Bronze; lebendige Natur das eine, menschengemachtes Laborat das andere. Die holzschnittigen, geschwärzten Skulpturen finden nicht selten ihr Pendant in bronzenen Abgüssen. Original und Spiegelbild werden auf diese Weise ungleiche Zwillinge, vergänglich der eine, dauerhaft bleibend der andere. Fragt sich, wem gilt unsere uneingeschränkte Hingabe?

Dr. phil. Reimar Börnicke 

Kataloge

Katalog 
Nando Kallweit
2023 I 116 Seiten
Auflage 1.000 Stück 
verfügbar

Katalog 
Nando Kallweit
2018 I 96 Seiten
Auflage 1.000 Stück 
vergriffen

Katalog 
Nando Kallweit
2017 I 36 Seiten
Auflage 100 Stück
vergriffen 

 Katalog zur Ausstellung
"Zeitlosigkeiten"
Nando Kallweit
2017 I 54 Seiten
Auflage 100 Stück 
vergriffen

 Katalog zur Gemeinschaftsausstellung
" Artefakt VI "
2017 I 64 Seiten
Auflage 500 Stück
 vergriffen 

 Katalog 
Nando Kallweit
2016 I 96 Seiten
Auflage 1.000 Stück 
verfügbar 

 Katalog Galerie Jaeschke Braunschweig
" Kunst & Gespräche"
2016 I 70 Seiten
vergriffen

  Katalog zur Einzelausstellung
" Es könnte später werden..."
Nando Kallweit
2012 I 48 Seiten
Auflage 1000 Stück
vergriffen 

 Katalog zur Ausstellung
" ER HAT ANGEFANGEN"
Nando Kallweit I Jörn Mortensen
2011 I 32 Seiten
Auflage 100 Stück 
vergriffen